Atlantik,Tidenströme und bretonische Spezialitäten
Die Bootsübernahme findet in Cherbourg, Frankreich, statt. Die Marina Chantereyne ist modern und gut ausgestattet, verfügt über ein sehr empfehlenswertes Restaurant mit ausgezeichneter französischer Küche sowie einem kleinen Café gleich um die Ecke, in dem man wunderbar frühstücken und sich auch mit dem berühmten fleur de sel aus der Normandie – einem ganz besonders feinen Salz, das bestens als Souvenir für seine Lieben zu Hause geeignet ist – eindecken kann. Das Stadtzentrum ist nur 10 Minuten von der Marina entfernt und lädt zum Bummeln ein, mit vielen Cafés und Bistros, doch sollte man sich auf jeden Fall Zeit nehmen das Museum La cité de la mer zu besuchen in dem u. a. das größte öffentlich zugängliche Atom-U-Boot zu besichtigen ist. Ansonsten eignet sich Cherbourg ausgezeichnet dazu Vorräte für die Reise einzukaufen und dabei viele französische Köstlichkeiten zu bunkern: Pasteten, Cidre (französischer Apfelwein), die leckeren Tartes aux Citron (Zitronentörtchen) und ein paar Gläser Soupe de Poissons bretonne (Bretonische Fischsuppe) sollten danach auf jeden Fall an Bord sein.
Am nächsten Tag heißt es dann „Leinen los" und obwohl Cherbourg ein „gezeitenfreier" Hafen ist, man also unabhängig von Ebbe und Flut jederzeit ein- und auslaufen kann, ist man gut beraten, einen Zeitpunkt zu wählen zu dem der Strom, der bis zu 5,4 Knoten erreicht, nicht gegen an steht, sondern – hoffentlich mit dem passenden Wind – das Boot kräftig in Richtung Kanalinseln schiebt.
Guernsey
Nach dem ersten Tag auf dem Atlantik kommt die Hafeneinfahrt von St. Peter´s Port auf Guernsey in Sicht. Das bei abendlicher Ankunft romantisch angestrahlte Castle Cornet und die beleuchtete Hafenpromenade vor der steil ansteigend errichteten Stadt mit den vielen Masten im Vordergrund machen St. Peter´s Port zum schönsten Stadthafen der Kanalinseln. Es wird erwartet, dass Besucher am Visitors´ Ponton der Victoria Marina festmachen und auf das Dinghy des Hafenkapitäns warten, der nicht nur das Formular zum Einklarieren, sondern auch eine kleine, sehr praktische Broschüre über die Insel überreicht und dann einen geeigneten Platz in der Marina zuweist. Voraussetzung ist natürlich, dass die Gezeitenberechnungen des Navigators stimmen und man zur richtigen Zeit angekommen und die Einfahrts-Sill ins innere Hafenbecken mit genug Wasser bedeckt ist. Ansonsten muss man einige Stunden warten, bis das Wasser wieder steigt. In jedem Fall macht man gleich mit einer sowohl in Frankreich, als auch in England und auf den Kanalinseln, sehr beliebten Praxis Bekanntschaft: „Im Päckchen liegen". Man tut es oft und – ganz im Gegensatz zu adriatischen Marinas – ganz problemlos und selbstverständlich. Drei, vier, manchmal sogar noch mehr Boote nebeneinander sind keine Seltenheit, vor allem auf den Visitors´ Pontons, wenn jeder darauf wartet, dass das Wasser steigt, damit er endlich ins Hafenbecken fahren kann. Zum Zeichen, dass eine andere Jacht längsseits willkommen ist, hängt man einen einzelnen „Freundschaftsfender" an die äußere Seite des Bootes.
St. Peter´s Port ist die Hauptstadt von Guernsey und man sollte unbedingt 2-3 Stunden Stadtrundgang einplanen und, wer mag, auch das Haus besuchen in dem der berühmte französische Schriftsteller Victor Hugo – Autor von „Der Glöckner von Notre Dame" und „Les Miserables" – 1855 bis 1870 sein Exil verbrachte. Darüber hinaus gibt es eine sehr preiswerte Art an einem Nachmittag ganz Guernsey kennenzulernen: mit dem Linienbus 7 (oder 7A), der auf der Küstenstraße die ganze Insel umrundet und sowohl durch kleine Dörfer mit typisch englischen Cottages, wie auch an einsamen Buchten, vorbeifährt. Besonders für Gartenliebhaber ist Guernsey – wie auch die anderen Kanalinseln – ein Paradies, denn in dem milden, vom Golfstrom beeinflussten, Klima blüht alles überreich und ohne Pause das ganze Jahr hindurch. So bilden zum Beispiel die blauen Hortensien, bei uns nur als Zimmerpflanzen bekannt, lange, üppige Hecken und Fuchsien, bei uns als Sommerblume auf dem Balkon beliebt, werden dort zu 2 m hohen Bäumchen. Abends kann man in St. Peter´s Port in einem der vielen Pubs essen gehen, zu empfehlen wäre „The Library Bar", 10 Minuten zu Fuß von der Marina entfernt. Den besonderen Charme dieses Pubs machen die vielen, gut bestückten Bücherregale an den Wänden aus, die dem Lokal auch seinen Namen geben. Neben Fish´n´Chips steht Englische Hausmannskost auf der Speisekarte und, auch wenn man es vielleicht nicht erwartet, es schmeckt ausgezeichnet! Wer weiß, vielleicht ist es ja die Nähe zu Frankreich die das sonst so viel geschmähte englische Essen hier auf den Kanalinseln auf wunderbare Weise veredelt.
Sark
Das nächste Ziel ist die Insel Sark, nur 5 Seemeilen von Guernsey entfernt. Man steuert eine kleine Bucht auf der Westseite der Insel an, wo einige Besucherbojen ausgelegt sind, an denen man auch gemütlich übernachten kann. Mit dem Dinghy fährt man um einen Felsvorsprung herum, hinter dem sich ein kleiner Landungskai befindet. Aber Vorsicht: die Tide beträgt dort einige Meter, wer zu Mittag bequem aus dem Dinghy ausgestiegen ist, muss am Abend über eine Leiter, dem gefallen Wasserstand hinterher klettern – das Dinghy also entweder an einer sehr langen Leine festmachen oder über die Stiege ganz ins Trockene schleppen. Vom Kai aus kann man über einen von Brombeerhecken gesäumten Klippenpfad das Kliff erklimmen, der Aufstieg ist zwar anstrengend, die Aussicht aber spektakulär und lohnt auf jeden Fall. Sark hat eine wildromantische Küste wie aus einem Rosamunde Pilcher Film mit kleinen Buchten mit Sandstrand und türkisblauem Wasser. Wenn es heiß ist – im Frühsommer und Sommer kann es durchaus 30 Grad bekommen – kann, wenn man mutig ist, im 15 Grad kalten Wasser Abkühlung suchen. Sark ist eine autofreie Insel, es gibt nur einige Traktoren, Pferdefuhrwerke und Fahrräder. Letztere kann man für einen Tag im Dorf mieten, um die Insel auf dem Drahtesel zu erkunden. Einen ganzen Tag sollte man für Sark auf jeden Fall einplanen, der fehlende Autoverkehr führt dazu, dass eine unvergleichliche Ruhe herrscht, die nur hin und wieder von einem blökenden Schaf, den summenden Hummeln oder einer schreienden Möwe hoch über den Klippen unterbrochen wird. Nach einem ereignisreichen Tag im quirligen St. Peter´s Port auf Guernsey eine willkommene Abwechslung und Erholung pur.
Jersey
Nach einer ruhigen Nacht an der Boje geht es am nächsten Morgen weiter in Richtung Jersey, der größten der Kanalinseln. Die 28 Seemeilen sind mit dem passenden Wind unter Ausnützung der richtigen Strömungen in 6 bis 7 Stunden zu schaffen. Unbedingt mit an Bord sollte deshalb Reed´s Nautical Almanach sein, denn die vielen Strömungskarten und Gezeitentafeln sowie die absolut zuverlässigen Hafenbeschreibungen machen das Navigieren in diesem doch anspruchsvollen Revier erst möglich. Ein reviertypisches Phänomen, das dem Segler auf den Kanalinseln auch bei ausgesprochen guter Großwetterlage immer wieder begegnen kann, sei hier ebenfalls erwähnt: „englischer" Nebel, wie man ihn aus Erzählungen kennt. Manchmal fällt er von See aus in dichten, absolut undurchdringlichen Schwaden ein und es ist, als ob er von Bucht zu Bucht spaziert, von Felsen zu Felsen springt, plötzlich ist er da und 10 Minuten später ist er auch schon wieder weg und alles erstrahlt im schönsten Sonnenschein. Da heißt es dann: abwarten und Tee trinken, das Schauspiel genießen, und mit dem Auslaufen noch ein bisschen warten.
St. Helier ist die Hauptstadt von Jersey, sie ist ein bisschen modernen als St. Peter´s Port und wird Jersey als Steuerparadies dadurch gerecht, dass es Straßenzüge gibt, in denen sich Bankhaus an Bankhaus reiht. Die Besuchermarina ist sehr gut ausgestattet, vielleicht nicht ganz so reizvoll wie auf Guernsey, aber zu Fuß nur 5 Minuten vom Zentrum entfernt. Darüber hinaus beherbergt sie gleich neben dem Harbour Master´s Office das „Maritime Museum", das man auf jeden Fall besuchen muss. Man wird selten ein Museum finden, das mit so viel Liebe zum Detail und zum Sujet ausgestattet wurde. Alles bewegt sich, kann ausprobiert werden, vieles darf man anfassen, es laufen Videos, es gibt Installationen und Sonderaustellungen – ein absolutes „Muss" für jeden Segler! Die andere große Sehenswürdigkeit in St. Helier ist Elisabeth Castle. Wobei es vielleicht gar nicht das Castle selbst ist, das den Besuch so unvergesslich macht, sondern die Art und Weise wie man dorthin kommt. Denn wer kann schon von sich behaupten jemals mit einem echten Amphibienfahrzeug gefahren zu sein? Aber genau so etwas ist die himmelblaue „Betty": ein Auto mit Schraube und Schwimmwesten unter den Sitzen, ein Boot mit 4 Rädern, das je nach Wasserstand entweder über den Sand fährt oder die Wellen durchpflügt. Wie auf Guernsey, so empfiehlt es sich auch auf Jersey, eine Busrundfahrt zu machen. Der Busbahnhof ist nur 5 Minuten von der Marina entfernt und es gibt sogar eigene Buslinien, die in gewohnter hop-on/hop-off Manier alle Sehenswürdigkeiten der Insel abklappert. So kann man die Landschaft bewundern und je nach Interesse noch das eine oder andere Museum, den Zoo oder eine prähistorische Ausgrabungsstätte besuchen.
Die letzte Etappe von 35 Seemeilen führt zurück nach Frankreich, nach St. Malo, wo der Törn endet. Vor der Abfahrt aus St. Helier sollte man noch die Gelegenheit nutzen und volltanken, denn auf Jersey kann man, wie auf allen Kanalinseln, mehrwertsteuerfrei tanken. St. Malo ist eine wunderschöne Stadt, die den Segler von der Seeseite her mit dem Anblick des historischen Stadtkerns hinter alten Festungsmauern und malerisch vorgelagerten Inseln begrüßt. Eine Besichtigung der Altstadt sollte man unbedingt einplanen, auch wenn der Weg von der Marina dorthin eine gute halbe Stunde Fußmarsch bedeutet, es lohnt sich. Ausklingen lassen kann man den Törn schließlich im Marinarestaurant mit Moules et Frites (Miesmuscheln und Pommes Frittes), einer bretonischen Spezialität, die überall an der Küste angeboten wird. Im Gespräch mit den Mitseglern lässt man dann bei einem Espresso oder einem kühlen Bier nochmals die vergangenen Tage auf dem Atlantik Revue passieren, währenddessen in der Bucht von St. Malo langsam die Sonne untergeht.
Andreas Hörweg
Miesmuscheln mit Pommes
„moules et frites“, „mussles with chips“; Miesmuscheln mit Pommes Frites. Typische Spezialität der Region, die man unbedingt probieren sollte.
Die Kanalinseln Jersey, Guernsey, Sark, Herm, und Alderney liegen direkt vor der französischen Küste in der Bucht von St. Malo, gehören aber nicht zur EU sondern sind direkt der britischen Krone unterstellt. Sie zählen zu den landschaftlich schönsten Flecken Europas, mit einem fast mediterranen Flair und einer unglaublich reichen Fauna und Flora, die in dem milden Golfstromklima prächtig gedeihen. Für Segler erschließt sich eine traumhafte Küstenlandschaft in einem Revier mit spektakulären Gezeitenunterschieden und starken Strömungen, in dem der Adriasegler endlich ausprobieren kann, was er sonst nur aus Büchern kennt: den Atlantik.