Unser heutiges Leben ist kompliziert. Rollenbilder wandeln sich, Privilegien bröckeln. Feminismus, Diversität, Genderfluidität, Klimawandel – die großen Schlagworte unserer Gegenwart fordern uns zum Umdenken auf. Während es einem Teil der Menschen mit der neuen Fairness nicht schnell genug geht, fühlen sich andere bevormundet und stehen auf der Bremse. Oder sind die Fronten doch nicht so eindeutig? Sind wir als aufgeklärte Gesellschaft selbst ein bisschen spießig, wenn uns die unsichere Zukunft zu Leibe rückt? Über alle diese Fragen hat die renommierte österreichische Filmemacherin Eva Spreitzhofer so intelligente wie komödiantische Kinofilme geschaffen.
Für das Landestheater Niederösterreich entwickelt sie nun eine Bühnenversion. „Wie kommen wir da wieder raus?“ analysiert die großen Bruchlinien der Gesellschaft am Beispiel einer Wiener Patchwork-Familie. Im Zentrum steht Wanda, Ärztin und Feministin, die mit der kämpferischen Tochter Nina und ihrem Künstlerfreund Tony zusammenlebt. Zu Wandas Geburtstag trifft endlich wieder einmal die ganze Familie samt Ex-Mann, dessen Freundin Sissy, Kindern und Geschwistern zusammen. Bis zur veganen Vorspeise muss bereits einiges verdaut werden: Nina offenbart ihren atheistischen Eltern, dass sie online zum Islam übergetreten ist und ab jetzt ein Kopftuch tragen wird. Aber das ist erst der Anfang eines Geburtstagsfestes mit überraschenden Wendungen …
Inszenierung: Eva Spreitzhofer, Bühne: Miriam Busch; Kostüme: Martina List, Musik: Iva Zabkar, Dramaturgie: Julia Engelmayer
Darsteller: Julia Kreusch, Tobias Artner, Laura Laufenberg, Michael Scherff, Caroline Baas, Julian Tzschentke, Jasmin Weißmann, Felix Rank
Landestheater Niederösterreich Großes Haus: letzte Vorstellung 22. 3. 2025
Zu Gast an der Bühne Baden: 4. 12. 2024
Wie kann sich aus einer Diktatur eine bürgerliche Demokratie entwickeln, ohne dass dabei erneut Ungerechtigkeit entsteht? Friedrich Schiller, enttäuscht über das Scheitern der Französischen Revolution, verfasst 1799 das Königinnendrama „Maria Stuart“ als Parabel über politische und moralische Verantwortung: Im England des 16. Jahrhunderts herrschen unüberbrückbare Religionskonflikte zwischen Katholiken und Protestanten, unklare politische Machtverhältnisse spalten das Volk und verschärfen die angespannte soziale Lage. Zwei mächtige Rivalinnen stehen sich in Schillers spannungsgeladenem Drama gegenüber: Maria Stuart, die katholische Königin von Schottland, und ihre protestantische Cousine Elisabeth, Königin von England. Maria, verfolgt als vermeintliche Mörderin ihres Gatten, flieht nach England und bittet um Asyl. Doch Elisabeth fürchtet um ihre Krone, da Maria selbst Ansprüche darauf hat, und lässt Maria einsperren. Als eine Verschwörung gegen die protestantische Regierung Elisabeths im Gange ist, gerät Maria in Verdacht, diese aus dem Gefängnis zu unterstützen. Innerhalb dieses Spinnennetzes von Macht und persönlicher Konkurrenz der beiden Königinnen nutzen die männlichen Verbündeten, Verehrer und Beamten ihre Chancen zum Karriere-Aufstieg.
Regie: Amir Reza Koohestani, Bühne: Mitra Nadjmabadi, Kostüme: Negar Nemati, Musik: Matthias Peyker, Video: Phillip Hohenwarter, Dramaturgie: Julia Engelmayer
Besetzung: Caroline Baas, Lukhanyo Bele, Marthe Lola Deutschmann, Bettina Kerl, Julia Keusch, Clara Liepsch
Landestheater Niederösterreich Großes Haus: letzte Vorstellung 10. 1. 2025
Zu Gast an der Bühne Baden: 2. 10. 20224
Doch auf dem Weg in die grüne Zukunft muss sich die Familie erst noch ihrer unrühmlichen Vergangenheit stellen.
„Alfa Romeo und die elektrische Giulietta“ ist eine Stückentwicklung des Kollektivs Wunderbaum über die Geschichte einer reichen Auto-Dynastie am Beispiel des Familienunternehmens Alfa Romeo. Der italienische Autohersteller aus Mailand steht dabei stellvertretend für viele Unternehmen, die sich nicht mit ihrer Vergangenheit und ihrer Rolle im Faschismus auseinandergesetzt haben. Nach dem Bankrott des fossilen Verbrennungsmotors müssen sie aus den unterschiedlichsten Gründen nach einem modernen und „sauberen“ Image suchen. 2024 will Alfa Romeo immerhin sein erstes E-Auto auf den Markt bringen.
Das international erfolgreiche niederländische Schauspielerkollektiv Wunderbaum arbeitet mit „Alfa Romeo und die elektrische Giulietta“ zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder in Österreich. Es entzündet ein musiktheatrales Feuerwerk, bei dem sich die Grenzen der künstlerischen Genres auflösen und die Realitätsebenen zwischen Schauspieler und Rollen immer mehr verschwimmen. Dabei wird eine eigene, neue Kunstform für eines der großen Themen unserer Zeit entstehen.
Mit einem internationalen Ensemble aus dem niederländischen Kollektiv Wunderbaum, Ensemblemitgliedern des Landestheaters Niederösterreich sowie italienischen Schauspieler.
Inszenierung: Wunderbaum, Bühne: Maarten van Otterdijk, Musik: Annelinde Bruijs, Dramaturgie: Thorben Meißner
Mit Tobias Artner, Walter Bart, Laura Laufenberg, Maartje Remmers, Marleen Scholten
Landestheater Niederösterreich Großes Haus: letzte Aufführung 17. 5. 2024
Krimikomödie oder Agententhriller? Bereits zum zweiten Mal wird Inspektor Richard Voß ins „Les Ceriserie“, eine Klinik für Psychiatrie, gerufen. Vor einem halben Jahr wurde Schwester Dorothea mit einer Vorhangkordel erdrosselt aufgefunden. Diesmal muss er den Mord an Schwester Irene aufklären. Schnell wird klar, dass die Insassen, genannt Albert Einstein und Isaac Newton, ihre Pflegerinnen ermordet haben. Doch Frau Dr. von Zahnd, Chefärztin in der Psychiatrie, stellt sich schützend vor ihre Patienten. Je länger die Ermittlungen fortschreiten, umso groteskere Züge entwickelt der kriminalistische Fall: Hat Dr. von Zahnd die Kontrolle über ihre Patienten verloren? Warum behaupten die beiden Patienten, sie seien die weltberühmten Physiker Einstein und Newton? Was verbergen sie hinter ihren prominenten Namen und welche Rolle spielt dabei das Forschungsgebiet der Atomphysik? Als der Dritte im Bunde, ebenfalls ein Physiker namens Johann Wilhelm Möbius, behauptet, die Weltformel gefunden zu haben, mit deren Hilfe die ganze Erde vernichtet werden könne, wandelt sich der Krimiplot zum pointiert-politischen Kammerspiel.
Friedrich Dürrenmatts berühmtestes Stück entstand 1961 vor dem Hintergrund der atomaren Aufrüstung im Kalten Krieg. Seine Warnung vor dem Missbrauch wissenschaftlicher Erkenntnisse durch die Mächtigen und die Frage nach der Verantwortung der Naturwissenschaftler*innen erlangt auch in der heutigen angespannten weltpolitischen Situation zwischen Ost und West ungeahnte Relevanz. Zwischen politisch-moralischen Fragen und überbordend komödiantischen Szenen richtet Dürrenmatt seinen Appell an zukünftige Generationen: „Was alle angeht, können nur alle lösen.“ Die ungarische Regisseurin Kriszta Székely, die im Leitungsteam des renommierten Katona József Theaters in Budapest tätig ist und sich am Landestheater Niederösterreich mit ihrer bejubelten Inszenierung von „Drei Schwestern“ vorgestellt hat, wird mit ihrem Schauspiel-Ensemble das fragile Verhältnis zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik ins Heute transportieren.
Inszenierung: Kriszta Székely, Dramaturgie: Julia Engelmayer, Ármin Szabó-Székely
Boll / Frau Rose / Monika Settler: Caroline Baas; Newton: Bettina Kerl; Einstein: Lennart Preining; Möbius: Julian Tzschentke; Inspektor Voß: Michael Scherff; Missionar Rose / Pfleger / Polizist: Sven Kaschte; Dr. von Zahnd: Julia Kreusch
Landestheater Niederösterreich Großes Haus: letzte Aufführung 8. 6. 2024
Stadttheater Baden: 30. 8. 2024
Übrig geblieben sind die Frauen. Sie stehen am Strand und warten auf ihr ungewisses Schicksal. Hekabe, Trojas Königin, ihre hellseherische Tochter Kassandra, die schöne Helena, nach deren Entführung aus Griechenland der sinnlose Krieg in Troja geführt wurde, und Andromache, die ihren kleinen Sohn sucht. Aber die Frauen beklagen nicht ihr eigenes Schicksal, sie klagen an: Sie berichten über die maßlose Zerstörung einer einstmals blühenden Stadt. Sind Auseinandersetzungen und Gewalt göttlicher Wille oder menschliches Versagen? Und wie überleben die nachkommenden Generationen? In seinem 400 Jahre vor Christus entstandenen Meisterwerk, das einen zentralen Stoff der griechischen Mythologie verhandelt, stellt Euripides die Sicht der Frauen ins Zentrum. Zehn Jahre belagern die Griechen Troja, eine Stadt an der Mittelmeerküste Asiens. Erst ein Täuschungsmanöver mit einem hölzernen Pferd, in dessen Bauch versteckt die griechischen Krieger durch die Festungsmauern eindringen können, verhilft den Griechen zum Sieg. Die Stadt mit ihren Tempeln und Palästen wird unter dem Schutt begraben.
Euripides’ Stück markiert erstmals in der Kulturgeschichte die Bruchlinie zwischen dem „fremden Osten“ und dem europäischen „Westen“, als dessen kulturelle Wiege Griechenland gilt. Die slowakische Regisseurin Sláva Daubnerová, die sich mit bildstarken Operninszenierungen und packenden Theaterabenden einen Namen gemacht hat, befragt mit ihrem Ensemble „Die Troerinnen“ auf ihren Gegenwartsbezug. Welche Spuren von Konflikten prägen sich tief in die Geschichte von Familien und Regionen ein? Wann endet ein Krieg wirklich, und was kommt danach?
Inszenierung: Sláva Daubnerová, Bühne und Video: Lugh Amber Wittig, Kostüme: Cedric Mpaka; Musik: Dalibor Kocian, Dramaturgie: Julia Engelmayer.
Helena: Laura Laufenberg; Andromache: Julia Kreusch; Kassandra: Caroline Baas; Talthybios: Julian Tzschentke; Menelaos: Sven Kaschte; Hekabe: Bettina Kerl
Landestheater Niederösterreich Großes Haus: letzte Aufführung 3. 5. 2024
Stadttheater Baden: 24. 4. 2024
„Das größere Abenteuer werde ich haben!“ Das jüdische Mädchen Ellen träumt davon, mit ihrer Mutter in die USA auszuwandern und die Freiheitsstatue zu sehen. In ihrer Heimat herrscht ein autoritäres Regime, in dem Menschen mit jüdischem Glauben „falsch“ sind und deshalb verfolgt werden. Doch Ellen erhält keine Reiseerlaubnis. Sie muss bei ihrer Großmutter bleiben, dort, wo jüdische Kinder einen Stern auf der Brust tragen. Drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erscheint der einzige Roman der Wiener Schriftstellerin Ilse Aichinger, der aufgrund seiner neuen literarischen Form, den Nationalsozialismus aufzuarbeiten, große Aufmerksamkeit erregt. Es ist die autofiktionale Geschichte ihrer Jugend in Wien, während Aichingers Zwillingsschwester nach England emigrieren konnte. Mit der Kraft ihrer poetischen Sprache erzählt sie aus der Perspektive einer Jugendlichen, die klarsichtig und unerschütterlich an die Menschlichkeit glaubt. Je bedrohlicher die Situation für Ellen wird, umso hoffnungsvoller sind ihre Visionen von einem besseren Leben …
Der Roman „Die größere Hoffnung“, der 1948 als Wiedergeburt der österreichischen Literatur gefeiert wurde und bis heute als Jahrhundertwerk gilt, wird am Landestheater Niederösterreich zum ersten Mal in einer Theaterfassung gezeigt. Regisseurin Sara Ostertag, die sich mit ihren bildstarken Inszenierungen im In- und Ausland einen Namen machte und am Landestheater u. a. für die Romane „Dunkelblum“ und „Der Zauberberg“ eine sinnlich-musikalische Bühnenübersetzung fand, wird „Die größere Hoffnung“ als Uraufführung mit Musik von Mira Lu Kovacs auf die Bühne bringen.
Inszenierung: Sara Ostertag, Bühne: Nanna Neudeck, Kostüme: Prisca Baumann, Chorleitung: Verena Giesinger, Dramaturgie: Julia Engelmayer
Mit Tobias Artner, Caroline Baas, Bettina Kerl, Mira Lu Kovacs, Julia Kreusch, Laura Laufenberg, Lennart Preining, Michael Scherff
Landestheater Niederösterreich Großes Haus: letzte Aufführung 2. 3. 2024
Stadttheater Baden: 3. 4. 2024
„Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne, dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ Mit diesem berühmten ersten Satz beginnt Franz Kafkas posthum veröffentlichter Roman über einen Mann, der sich gegenüber einer anonymen Gerichtsmacht behaupten muss. Der Prozess gegen Josef K. wird dabei ohne Nennung eines Verbrechens geführt, bis zuletzt steht er vor dem Rätsel, welcher Tat er beschuldigt wird. Die Unkenntnis der Anklage bewahrt ihn jedoch nicht davor, zunehmend mehr Zeit und Energie gegen das ominöse Gericht zu investieren. So verharrt Josef K. ein ganzes Jahr in Unklarheit und Angst. Denn die anonyme Macht will ihren Sieg.
Mit „Der Prozess“ hat Franz Kafka ein geheimnisvolles Vermächtnis geschaffen – einen Roman, der Unsicherheit zum Prinzip hat und dabei maßgeblich an der Prägung des Begriffs „kafkaesk“ beteiligt war. Der selbst juristisch ausgebildete Kafka stellt seinem Protagonisten Josef K. ein bedrohliches Rechtssystem gegenüber, dessen Vertreter anonym und allmächtig agieren. Über das knappe Jahrhundert seines Bestehens sind verschiedenste Weltsichten und Bedrohungsszenarien in den Roman hineingedeutet worden. Für das Landestheater Niederösterreich wird der junge Regisseur Jonathan Heidorn, der zuletzt das Epos „Parzival“ in der Bühne im Hof inszeniert hat, seine Version dieses großen und vielschichtigen Romans auf die Bühne bringen.
Inszenierung und Sounddesign: Jonathan Heidorn, Bühne und Kostüme: Thorben Schumüller, Dramaturgie: Thorben Meißner
Mit Caroline Baas, Michael Scherff, Julian Tzschentke, Lukas Walcher.
Landestheater Niederösterreich Theaterwerkstatt: letzte Aufführung 15. 3. 2024
In Horváths „Volksstück“ fliegt ein Zeppelin am wolkenlosen, blauen Himmel, er ist ein Symbol des Fortschritts und der grenzenlos weiten Welt. Darunter, in München, wird das Oktoberfest gefeiert. Während dort ausgelassene Fröhlichkeit und optimistische Lebensfreude herrschen, stehen die Sterne für das Liebespaar Kasimir und Karoline ungünstig: Kasimir hat seine Arbeit als Chauffeur verloren. Und weil das für ihn zu einer existenziellen Krise mit Statusverlust führt, schaut sich Karoline nach einem anderen um. Weil „wenn einer arbeitslos wird, die Liebe zu ihm nachlässt, und zwar automatisch.“ Im wilden Strudel des Volksfests, berauscht von Alkohol und dem Drang, etwas zu erleben, scheitern beide an ihren Erwartungen aneinander: „Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als wär’ man nie dabei gewesen.“
Horváths „Kasimir und Karoline“ ist angesiedelt in der von Armut und Wirtschaftskrise geprägten Zeit der untergehenden Weimarer Republik. Das Oktoberfest wird für seine Besucher*innen aus verschiedensten sozialen Klassen zum Tanz auf dem Vulkan. Aber in der Liebe gelten klare Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse, und so kann auf die Hoffnung nach gesellschaftlichem Aufstieg mit dem richtigen Partner schnell ein kolossaler Absturz folgen. Der Regisseur Moritz Franz Beichl, der in Hamburg, Göttingen und Wien arbeitet, inszeniert Horváths Klassiker als melancholisch-poetisches Sittenbild über zwei, deren Umstände sie immer weiter vom gemeinsamen Glück entfernen.
Inszenierung: Moritz Franz Beichl, Bühne: Anouk Schiltz, Kostüme: Astrid Klein, Musik: Philipp Auer, Dramaturgie: Thorben Meißner.
Kasimir: Konstantin Rommelfangen; Karoline: Laura Laufenberg; Schürzinger: Tobias Artner; Der Merkl Franz: Lennart Preining; Erna: Jeanne Werner; Rauch: Michael Scherff; Speer: Simon Bauer; Troubadour: Philipp Auer
Landestheater Niederösterreich Großes Haus: letzte Aufführung 18. 1. 2024
Stadttheater Baden: 22. 11. 2023
Alceste ist in die junge Witwe Célimène verliebt. Célimène ist lebenslustig, gesellig und liebt Partys. Alceste dagegen ist ein Einzelgänger, mag seine Mitmenschen nicht und ist lieber allein. Célimènes Freunde sind ihm zu eitel, oberflächlich und heuchlerisch. Das ist die Ausgangssituation einer komplizierten Liebesbeziehung mit all ihren Irrungen und Wirrungen.
Molière erschafft mit seiner Titelfigur Alceste einen seiner berühmtesten Charaktere, der auch autobiografische Züge trägt. Er zeichnet das Porträt eines starrköpfigen Querulanten, der mit nötiger Distanz genauso wie mit scharfem Witz auf die moralisch deformierte High Society blickt und sie heftig kritisiert. Alceste sieht überall Lügen und Verstellung, Täuschung und Intrigen. Als er ein Gedicht des selbstverliebten Höflings Oronte mit seiner offenen Kritik in Grund und Boden vernichtet, eskaliert die Situation.
„Die Tugend, derer die Gesellschaft bedarf, ist die Umgänglichkeit; zu viel Gesinnung kann durchaus tadelnswert sein; vollkommene Vernunft vermeidet alle extremen Einstellungen.“
Wie viel Ehrlichkeit und Moral kann man sich in der Politik und in der Kunst leisten? Wird man mit zu viel Prinzipienreiterei in der Liebe zum ewigen Single? Mit lustvoller Sprache und raffinierten Rededuellen entwickelt sich eine entlarvende Komödie über die philosophisch zeitlose Frage: Wieviel Wahrheit verträgt der Mensch? Der Regisseur und Schauspieler Dominic Oley ist ausgewiesener Experte für absurd-komödiantische Handlungen und Verhaltensweisen der menschlichen Spezies. Nach „Der große Diktator“ im Theater in der Josefstadt und „Der nackte Wahnsinn“ am Stadttheater Klagenfurt inszeniert er den „Menschenfeind“ mit viel Slapstick und Gespür für die poetisch-klarsichtige Sprache Molières.
Inszenierung: Dominic Oley, Bühne: Michael Köpke; Kostüme: Nicole von Graevenitz, Musik: Christian Frank, Dramaturgie: Julia Engelmayer.
Alceste: Julia Kreusch; Philinte, Arsinoe: Bettina Kerl; Celimene: Caroline Baas; Oronte, Clitandre: Julian Tzschentke; Eliante, Acaste: Tobias Voigt.
Landestheater Niederösterreich Großes Haus: letzte Aufführung 13.1. 2024
Wir freuen uns, in eine neue Spielzeit verschiedenster Formen, neuer Dramatik und klassischer Theatertexte, Eigen- und Koproduktionen und Gastspiele zu starten. Wir freuen uns, diese Bandbreite mit dem Publikum zu erleben, denn nicht nur die Welt ist groß, sondern auch unsere Neugier, sie theatral erfahrbar zu machen.
Diese Bandbreite zeigt sich in der Spielzeit 2023/24 auch wieder besonders in unseren internationalen mehrsprachigen Koproduktionen und Gastspielen mit Theatern in Holland, Luxemburg, Litauen, Tschechien, Deutschland, Frankreich, Polen und Italien wie zum Beispiel mit der holländischen Kollektiv Wunderbaum, dem Festival d’Avignon, dem Maxim Gorki Theater oder dem Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg sowie in den vier Uraufführungen und Österreich-Premieren die am Spielplan stehen.
So wollen wir in der nächsten Spielzeit wiederum mit viel Theater die große Welt mit uns verbinden und uns dabei mit BEZIEHUNGEN, global und lokal, aber auch privat und politisch, beschäftigen.
Wir freuen uns, mit Ihnen unsere Theater-Beziehung fortzusetzen oder neu zu beginnen: Unser Theater will Gemeinsamkeiten aufzeigen, wir wollen mit unseren Geschichten auf der Bühne darüber erzählen, dass wir Menschen soziale Wesen sind, die einander brauchen und voneinander abhängig sind. Das gilt im politischen Sinne für den ganzen Erdball, in der Beziehung zwischen Mensch und Natur sowie im persönlichen und zwischenmenschlichen Bereich.
Die Publizistin Seyda Kurt schreibt über unser Zusammenleben als Menschen in ihrem Buch „Radikale Zärtlichkeit“, dass es „eine der gefährlichsten (von der Gesellschaft aufrecht erhaltenen) Wahrheiten ist, dass mein Verhältnis zu mir selbst und zu anderen Menschen eben nicht politisch sei. Dass es sich um eine rein private, individuelle Angelegenheit handle, für die ich allein verantwortlich zeichne.“
So agiert auch Kunst und Kultur als Teil eines gesellschaftspolitischen Prozesses nicht im luftleeren Raum. Wir wollen auftreten gegen einen Populismus, der die Gesellschaft spalten will, und rufen nach mehr Miteinander, nach mehr Nächstenliebe und Empathie.
Das werden wir in unseren Stücken verhandeln:
Wir treffen dabei auf Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“ – eine Koproduktion mit dem Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg – und werden über ihre Liebesbeziehung unter schwierigen ökonomischen Verhältnissen erfahren. Mit den Mitteln einer vielschichtigen Charakterkomödie erforschen wir mit Molières „Der Menschenfeind“ unsere gesellschaftlichen Beziehungsformen. Verhindern Höflichkeit und Heuchelei ehrliche Begegnungen oder liefern sie nicht vielmehr den sozialen Klebstoff für ein selbstbestimmtes Miteinander?
Wir werden auf der Bühne „Die größere Hoffnung“ in Form einer Dramatisierung und als Erstaufführung kennenlernen. Die bedeutende Autorin Ilse Aichinger erzählt die Geschichte eines jüdischen Mädchens in der Zeit des Nationalsozialismus. Aichinger schrieb damit einen wegweisenden Roman, der ein individuelles Schicksal eines jungen österreichischen Mädchens in Beziehung zum Weltgeschehen setzt. Wir erleben die Frauenschicksale in „Die Troerinnen“ des antiken Dichters Euripides, deren Leben von einem großen und langwährenden Krieg gezeichnet ist. Und wir entdecken weltpolitische Verstrickungen und die Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Menschheit in Friedrich Dürrenmatts grotesker kammerspielartiger Komödie „Die Physiker“.
Auch in „Alfa Romeo und die elektrische Giulietta“ wird in dem Generationenkonflikt einer italienischen Familiendynastie das Private politisch. Die Familie, muss nicht nur die Verantwortung für ihre faschistische Vergangenheit übernehmen, sondern auch den Wandel hin in die ökologische Zukunft betreiben. Das niederländische Theater-Kollektiv Wunderbaum nähert sich den italienischen Autobauern mit reichlich Musik und einem spielfreudigen internationalen Ensemble an. Wir freuen uns besonders, dass wir im Jahr 2024 mit der „Tangente“, dem Festival für Gegenwartskultur, zusammenarbeiten und gemeinsam sowohl „Alfa Romeo und die elektrische Giulietta“ als Koproduktion im Landestheater zur Uraufführung bringen, als auch das Gastspiel „Mothers“ von der renommierten polnischen Theatermacherin Marta Górnicka als Österreich-Premiere präsentieren dürfen.
Jugendliche Beziehungen spielen auch in unserem Familienstück „Emil und die Detektive“ eine große Rolle, und auch in „Tschick“ gehen zwei Freunde durch dick und dünn. In unserem Kinderstück „Der Regenbogenfisch“ werden Freundschaft und mit ihr die Beziehung zur Welt und zur Natur erlernt. Wir möchten alle Kinder, Familien, und – zum ersten Mal – auch alle Seniorinnen und Senioren zu unseren zahlreichen Vermittlungsangeboten einladen. Theaterclubs für unterschiedliche Altersgruppen, die partizipativen Workshops sowie unser Bürgertheater sind Bühnen fürs Mitmachen und für das gemeinsame Erlebnis quer durch alle Generationen, Kulturen und Herkünfte.
Aufmerksamkeit für Sprache zwischen Komik, Ironie und politischer Satire haben wir in einem ganz besonderen Projekt geplant: Regisseur und Puppenspieler Nikolaus Habjan und die Schauspielerin Julia Kreusch bringen einen Abend mit Loriot-Sketchen auf die Bühne. Erstmals zu Gast ist der große Theatermelancholiker Christoph Marthaler, der mit „Das Weinen“ eine neue Inszenierung aus dem Schauspielhaus Zürich präsentiert. Das vielgelobte inklusive Ensemble des RambaZamba Theaters zeigt erstmals in Österreich seine Theaterversion des weltberühmten Romans „Einer flog über das Kuckucksnest“ in der Inszenierung von Leander Haußmann.